Lübecker Nachrichten – 07.10.2018

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Kultur für alle.

Die Lübecker Kulturtafel hat die 5555. Eintrittskarte vergeben – an eine Familie aus dem Iran.

Die Kulturtafel hat die 5555. Eintrittskarte vergeben.

//Lübeck. Goethe und Bach, die seien ihm schon geläufig gewesen, sagt Mehdi Ali Fattahi (39). Die kenne man im Iran wie hier vielleicht den persischen Dichter Hafis. Aber Thomas Mann? Oder Günter Grass? Nein, das seien dort eher Fälle für Eingeweihte. Er hat jetzt aber Zeit, sie kennenzulernen. In Lübeck, wo ihnen Museen gewidmet sind und wo er seit drei Jahren mit seiner Familie lebt. Und das hat auch mit der Kulturtafel zu tun.

Sie sind geflohen aus dem Iran, er, seine Frau Fariba Ghasempour (37) und ihre Tochter Sogol, die heute zwölf Jahre alt ist. Sie waren Muslime, natürlich, wie fast alle der 82 Millionen Iraner. Aber Fariba Ghasempour hatte eine christliche Freundin, die vom Christentum erzählte. Von einer Religion, die sie interessant fanden, die sie mehr und mehr zu schätzen wussten und die sie schließlich annahmen. Aber das Leben als Christen im Iran ist schwierig, um es vorsichtig zu sagen. So schwierig, dass sie das Land verließen, in dem der Abfall vom Islam als schweres Vergehen gilt.

Erst machte sich der Vater mit der Tochter auf den Weg in die Türkei, einen Monat später kam die Mutter nach. Sie reisten weiter, sie stiegen in ein kleines Boot nach Griechenland, es ging nach Mazedonien und Kroatien. Sie nahmen mal den Bus, mal den Zug, sie gingen zu Fuß. Sie kamen nach Deutschland, nach Schleswig-holstein und schließlich im November 2015 nach Lübeck. Sie haben hier inzwischen eine Wohnung, besuchen die Gottesdienste der Reformierten Kirche in der Königstraße, vor einem guten Jahr wurde die kleine Elena geboren. Und sie schauen, was die Stadt an Kultur zu bieten hat.

Unterstützt werden sie dabei von der Kulturtafel, die kostenlos Karten für Konzerte, Theater oder andere Veranstaltungen an Menschen vergibt, die sie sich sonst nicht oder kaum leisten können (siehe rechts). Eine Sprachpatin hatte ihnen davon erzählt, und jetzt sind sie schon einige Male unterwegs gewesen. Sie waren bei der Lübeck-oper von „Kunst am Kai“, beim „Cinderella“-musical in der MUK, sie haben einen Kinderfilm gesehen und in der Herz-jesu-kirche ein A-cappella-konzert gehört. Jetzt haben sie wieder Karten bekommen, diesmal für einen Besuch im Hansemuseum. Es sind die Nummern 5555, 5556 und 5557.

Es hat ihnen alles sehr gefallen, sagen sie, wie Lübeck mit seinen alten Mauern und seiner alten Geschichte überhaupt. Kultur im Iran sei eine mit islamischem Vorzeichen und im Zweifel verboten. Vieles spiele sich daher im Privaten ab, hinter hohen Mauern und verschlossenen Türen. Als Kind in Teheran habe er Modern Talking gehört, sagt Mehdi Ali Fattahi, der geboren wurde, als die islamische Revolution aus dem Reich des Schah einen Gottesstaat machte. Woher die Kassette stammte? Er weiß es nicht. Aber es gab sie, so wie es heute auch vieles gibt im Iran, jedenfalls im Internet, bei Youtube oder Instagram, aber eben meist im Verborgenen.

Sie waren schon im Iran sehr an Kultur interessiert, sagt Fariba Ghasempour, eine Dermatologin. Hier in Lübeck helfe sie ihnen, sich im neuen Leben zurechtzufinden. Sie schätzen die Freiheit der Musik, der Kunst, des Gedankens, die Freiheit, keine Angst haben zu müssen vor den Sittenwächtern der BasidschMiliz. Ihre Tochter Sogol, inzwischen auf dem Gymnasium, lernt Klavier und Geige. Sie haben von Anfang Wert darauf gelegt, Deutsch zu lernen. Inzwischen sprechen sie es sehr gut, ihre Tochter noch viel besser.

Mehdi Ali Fattahi war Grafikdesigner im Iran, in Lübeck hat er jetzt im September eine kaufmännische Ausbildung im Büromanagement begonnen. Die dauert drei Jahre, so lange dürfen sie vorerst bleiben. Aber sie möchten nicht zurück in den Iran, auch wenn sie ihre Familien natürlich sehr vermissen. Sie haben hier Freunde gefunden, deutsche wie ausländische, und eine Freundlichkeit, die sie so nicht erwartet hatten. „Alle helfen, wenn wir Probleme haben. Von Herzen, oder wie sagt man? Lübeck ist eine starke Kultur, das kann man fühlen.“ (von Peter Intelmann)

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