Kulturtafel: Ohne Geld ins Theater
Für ein Konzert mal eben 80 Euro ausgeben? Eine Menge Geld. Für viele Menschen zu viel Geld, denn für sie wären schon zehn Euro eine große Hürde. In Lübeck sollen sie künftig trotzdem ins Konzert oder ins Theater gehen können – dank der Kulturtafel.
Bob Dylan hat am Mittwoch in Hannover gespielt, die Karten kosteten gut 80 Euro. Das heißt, bei 80 Euro fing es an. Man muss Bob Dylan schon sehr mögen, um so viel Geld auszugeben. Und selbst dann fällt es schwer. Aber es gibt genügend Menschen, für die sind schon zehn Euro eine große Hürde. In Lübeck sollen sie künftig trotzdem ins Konzert oder ins Theater gehen können – dank der Kulturtafel.
Die Kulturtafel ist ein neuer Verein. Im Februar wurde er gegründet, nächsten Dienstag stellt er sich offiziell vor. Kristine Goddemeyer (35) ist die erste Vorsitzende und Geschäftsführerin, eine gebürtige Lübeckerin mit Erfahrung im Kulturleben. Sie und ihre Mitstreiter wollen hier möglich machen, was es in vielen anderen deutschen Städten schon gibt: Kultur für alle.
Das Prinzip ist einfach und funktioniert ähnlich wie das der Lebensmitteltafeln: Kultureinrichtungen stellen kostenlos nicht verkaufte Karten zur Verfügung, und die Tafel vermittelt sie an Menschen, die sich den Eintritt nicht leisten könnten. Mehr ist es nicht, aber das ist eine ganze Menge.
Kristine Goddemeyer hat bisher einige große Institutionen in der Stadt angesprochen und ist überall auf offene Ohren gestoßen. Das Theater Lübeck ist dabei, die Musik- und Kongresshalle, das Theater Combinale. Die Petrikirche macht ebenso mit wie St. Marien, das Schleswig-Holstein Musik Festival ebenso wie die Musikhochschule. Und es stehen noch viele weitere Häuser auf der Liste. Genau wie auf der Liste der sozialen Einrichtungen. Auch dort macht sie das Projekt bekannt, spricht mit den Menschen und hinterlässt Flyer, mit denen Bedürftige sich anmelden können.
Bedürftig ist, wer wenig verdient oder staatliche Unterstützung erhält. Empfänger von Arbeitslosengeld II etwa zählen dazu, Familien mit geringen Bezügen, Alleinerziehende, Rentner mit Grundsicherung, Asylbewerber. Sie können sich bei der Tafel melden und Namen, Anschrift und Kontakt in einer Datenbank hinterlassen. Sie geben an, ob sie lieber ins Theater gehen oder in die Oper, zu Kabarett, Jazz oder einer Lesung. Und wenn dann Karten vorliegen, dürfen sie darauf hoffen, einen Anruf von der Tafel zu bekommen.
Das geschieht mit angemessenem Vorlauf, und es gibt jeweils zwei Karten pro Vorstellung. Sie liegen an der Abendkasse für den jeweiligen Abholer bereit. Man braucht also nicht im Theater seine Bedürftigkeit nachzuweisen, sondern sagt nur seinen Namen, fertig. Und man kann jemanden einladen, der nicht bedürftig sein muss. Gerade die zweite Person sei wichtig, betont Kristine Goddemeyer. Sie mache das Erlebnis schöner und sei Multiplikator obendrein.
„Es wird niemandem etwas weggenommen“, sagt die Geschäftsführerin. Im Gegenteil, alle Beteiligten würden gewinnen: Die Künstler spielen lieber vor gut gefüllten Häusern, und die Kulturgäste von heute können die zahlenden Gäste von morgen sein, wenn sich an ihrer Bedürftigkeit etwas ändert. Und wer sich bisher keine Karte leisten konnte, kann trotzdem am kulturellen Leben teilhaben. Die Auswahl übernimmt dabei ein speziell entwickeltes Computerprogramm, das im Mai im Büro der Kulturtafel installiert wird und mit dem die meisten Initiativen in den anderen Städten arbeiten.
Finanziert wird das Projekt vor allem durch Mittel der Possehl-Stiftung, zunächst für ein Jahr. Die Firma Euroimmun hat auch Geld zur Verfügung gestellt, und für zehn Euro jährlich kann man Mitglied im Verein werden. Ganz wichtig ist aber die Arbeit von Ehrenamtlichen. Kristine Goddemeyer ist denn auch auf der Suche nach weiteren Helfern und Sponsoren.
Kulturtafeln gibt es bisher in etwa 60 deutschen Städten. Marburg (dort heißt sie Kulturloge) war 2010 die erste, in Schleswig-Holstein ist Neumünster seit drei Jahren dabei. (Peter Intelmann)