„Wie ein Sechser im Lotto“ – Die Lübecker Kulturtafel hat ihren 100. Partner gefunden
//Lübeck. Als Herbert Pixner mit seiner Band am 12. April im Lübecker Kolosseum spielte, saßen auch 70 Menschen im Publikum, die nicht zu bezahlen brauchten. Das hatten sie Klaus Wollny zu verdanken. Der Konzertveranstalter hatte ihnen die Karten geschenkt, vermittelt über die Kulturtafel. Die Hanseatische Konzertdirektion aus Hamburg ist damit der 100. Partner, den das Lübecker Projekt in den knapp zwei Jahren seines Bestehen gewinnen konnte.
„Das ist unbedingt zu unterstützen“, sagt Wollny. Er habe die Tafel vorher gar nicht gekannt, aber nach einer Bitte sofort zugesagt. Das Konzert sei nicht ausverkauft gewesen, und es sei nun mal besser für die Stimmung und die Künstler, wenn der Saal gefüllt ist. Und obendrein tue man ein gutes Werk. „Damit ist allen gedient.“
Die Lübecker Kulturtafel gibt es seit Mai 2017. Sie sammelt nicht verkaufte oder nicht selbst genutzte Tickets ein und gibt sie an Menschen weiter, die sich den Eintritt nicht oder nur sehr selten leisten können. Geschäftsführerin ist Kristine Goddemeyer, die das Projekt auf den Weg gebracht hat und von ehrenamtlichen Helfern unterstützt wird.
Offene Türen
Mit der Konzertagentur von Klaus Wollny hat sie jetzt 100 Veranstalter und Einrichtungen, die die Tafel mit Karten versorgen. Sie sei fast überall auf offene Türen gestoßen, sagt sie. Manche Spender seien nur einmal dabei gewesen, weil sie nur eine einzige Produktion in Lübeck gehabt hätten, andere stellten regelmäßig Tickets zur Verfügung – auch kleine Häuser mit nur wenigen Plätzen. Jüngst habe ein Mann eigens aus dem Krankenhaus heraus angerufen, der seine Karte für das „Wunder der Heliane“ nicht habe verfallen lassen wollen.
Und die Menschen, die bei der Tafel in der Kartei stehen, danken es mit bewegenden Worten und manchmal seitenlangen Briefen. „Es ist immer wie ein Sechser im Lotto , wenn man durch euch mal rauskommt“, heißt es in einer Reaktion. Oder: „Ich freue mich immer so sehr, wenn Sie anrufen und Ihre ‚Wundertüte‘ für einen lange nachklingenden Abend öffnen.“
„Riesensteigerung des Lebensgefühls“
Jemand schrieb: „Euer Angebot ist wirklich eine Riesensteigerung des Lebensgefühls für mich.“ Ein anderer: „Vielen Dank für diesen schönen Abend. Gerade im Rahmen meiner Erkrankung habe ich zurzeit nicht viele Möglichkeiten, solche Dinge wie Theaterbesuche zu finanzieren und mitzuerleben und ich habe den Abend sehr genossen und viel gelacht. Das gibt Kraft weiterzukämpfen.“ Oder: „Ich war seit ewigen Zeiten nicht mehr im Konzert. Das geht einfach nicht, ich kann es mir nicht leisten. Manchmal höre ich mir Aufführungen vor dem Radio an, aber die Musiker dabei zu sehen – das war unheimlich schön!“ Wieder jemand anderes fasste es so zusammen: „Sie bewirken bei jedem Einzelnen eine ganze Menge!“
„Es ist Kulturarbeit“, sagt Kristine Goddemeyer, „aber eben oft auch Sozialarbeit.“ Da säßen Menschen vor ihr, die von ihrer Krankheit erzählten, von Trennung oder Privatinsolvenz. Denen oft niemand zuhöre und die neben den Karten unheimlich dankbar seien für Zuwendung. Und sie erzählt von einer Dame, die Tickets für eine Bienen-Lesung im Grass-Haus bekommen hatte und da sonst wohl nicht hingegangen wäre, weil Bienen nicht ihr großes Thema waren. Aber jetzt spare sie auf ein Insektenhotel.
Possehl-Stiftung als Stütze
Finanziert wird die Kulturtafel zu wesentlichen Teilen von der Possehl-Stiftung. Gerade ist die Unterstützung für ein weiteres Jahr bis April 2020 gewährt worden. Spenden sind daher weiter willkommen und werden gebraucht. Und Eintrittskarten natürlich auch.
Klaus Wollny, seit mehr als 30 Jahren im Geschäft und Veranstalter von Künstlern wie Anne-Sophie Mutter, Nigel Kennedy oder Ulrich Tukur, ist weiter dabei. „Absolut, jederzeit“, sagt er. „Ich bewundere dieses Engagement. Das sind moderne Engel, ohne die das Leben vieler Mitbürger sehr viel düsterer aussehen würde. Man zeigt diesen Menschen, dass sie nicht vergessen werden und auch ein Anrecht auf Kultur haben. Wer abgeben kann, sollte das tun. Und wir verlieren ja auch nichts.“ Er habe Herbert Pixner und der Band auch von der Tafel erzählt, und die seien ebenfalls begeistert gewesen. Als nach dem Konzert eine Frau am Stand gewesen sei und eine CD kaufen wollte, sie sich aber nicht leisten konnte, habe Pixner gesagt: „Die ist geschenkt.“
Peter Intelmann