„Mein erstes Konzert seit zwei Jahren“
Die Lübecker Kulturtafel organisiert Konzerte mit Musikern des Lübecker Philharmonischen Orchesters in Wohnzimmern. Für manche Zuhörerinnen und Zuhörer ist es der erste Kulturgenuss seit Jahren
ST. LORENZ SÜD. Am ersten Sonnabend im Dezember steht das Philharmonische Orchester Lübeck im Wohnzimmer von Angelika Koop (Name geändert) und spielt ein Adagio von Mozart und ein Kammermusikstück von Reinhold Gliere. Dann wird es weihnachtlich, es erklingt „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ in zwei Stimmen. Weil das Wohnzimmer nicht groß genug für alle Musiker wäre, ist nicht das ganze Orchester gekommen, es wird vertreten durch zwei Streichmusikerinnen: Elisabeth Fricker spielt Geige, Christina Reiterneier Bratsche – exklusiv für die 59-Jährige.
Diese konnte zwei Jahre lang keine Live-Musik mehr hören. Es ist eine lange Zeit für die Kulturliebhaberin, die besonders Konzerte, Theater oder auch Poetry Slams sehr mag. Sie hatte lange Zeit ein Theater-Abo. Später, als nach einer Scheidung das Geld knapp war, bekam sie über die KulturTafel Karten. Sie hat sie viel und gerne genutzt. „Besonders gut fand ich es, dass es immer zwei Karten gab und ich jemanden mitnehmen konnte“, sagt sie. Doch das geht nicht mehr: Heute kann sie das Haus nur noch mit Rollstuhl verlassen, und wenn sie länger als eine Stunde sitzt, kommen Schmerzen.
Dabei war noch im Januar 2020 alles gut. Ihre Arbeit mit Demenzkranken machte ihr Spaß und sie freute sich darauf, ihr erstes Enkelkind aufwachsen zu sehen, das gerade geboren war. Doch dann kam der Tag, an dem ihr Arzt das Wort aussprach, das alles veränderte: Knochenkrebs. Es begann ein Behandlungsmarathon mit monatelangen Krankenhausaufenthalten, Schmerzen, Erschöpfung. Nach einigen Monaten wurde dazu noch ein Geschwür im Unterleib gefunden. Ab Mitte März schränkte zusätzlich Corona das öffentliche Leben stark ein, und ihre beiden Kinder, die in anderen Bundesländern wohnen, konnten Koop lange nicht besuchen.
An diesem Sonnabend darf sie endlich wieder Kultur genießen. „Ich kann gar nicht glauben, dass Sie hier für mich Musik machen“, sagt sie gerührt. Sie hatte sich bei der KulturTafel für die Advents-Aktion „Coming Horne For Christmas“ beworben. Acht Musikerinnen und Musiker des Philharmonischen Orchesters machen in der Adventszeit ehrenamtlich Hausbesuche bei Menschen, die nicht zu Konzerten geheri können oder nicht möchten, weil sie Angst haben, sich mit Corona zu infizieren. Einsamkeit und Kulturabstinez tun ihnen nicht gut. ,,Einige erzählen mir, dass ihre Depression sich wieder meldet, weil sie so viel zu Hause sind“, erzählt die Geschäftsführerin der KulturTafel Kristine Goddemeyer, die die Privatkonzerte organisiert.
Dass das Format sehr gut ankommt, hat sie schon bei den Türschwellen-Konzerten im Winter festgestellt. Auch in Höfen und Gärten haben die Musiker während der Corona-Pandemie regelmäßig für Kunden der KulfurTafel gespielt. Ihr Repertoire reicht von Stücken aus verschiedenen Epochen bis zu Filmmusik, beispielsweise aus „Game of Thrones“ oder Interpretationen moderner Musik beispielsweise von „Coldplay“.
„Gerade jetzt ist die seelische und kulturelle Grundversorgung wichtig, damit die Leute emotional nicht vor die Hunde gehen“, sagt Goddemeyer. Kultur gehöre für viele Menschen zu einer Akutversorgung mit dazu, weil sie gut für die Seele ist. Für Angelika Koop stimmt das auf jeden Fall. (VON FRIEDERIKE GRABITZ)