Lübecker Nachrichten – 08.12.2021

Lübecker Nachrichten – 08.12.2021

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„Mein erstes Konzert seit zwei Jahren“

Die Lübecker Kulturtafel organisiert Konzerte mit Musikern des Lübecker Philharmonischen Orchesters in Wohnzimmern. Für manche Zuhörerinnen und Zuhörer ist es der erste Kulturgenuss seit Jahren

ST. LORENZ SÜD. Am ersten Sonnabend im Dezember steht das Philharmonische Orchester Lübeck im Wohnzim­mer von Angelika Koop (Na­me geändert) und spielt ein Adagio von Mozart und ein Kammermusikstück von Rein­hold Gliere. Dann wird es weihnachtlich, es erklingt „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ in zwei Stimmen. Weil das Wohnzimmer nicht groß ge­nug für alle Musiker wäre, ist nicht das ganze Orchester gekommen, es wird vertreten durch zwei Streichmusikerin­nen: Elisabeth Fricker spielt Geige, Christina Reiterneier Bratsche – exklusiv für die 59-Jährige.

Diese konnte zwei Jahre lang keine Live-Musik mehr hören. Es ist eine lange Zeit für die Kulturliebhaberin, die be­sonders Konzerte, Theater oder auch Poetry Slams sehr mag. Sie hatte lange Zeit ein Theater-Abo. Später, als nach einer Scheidung das Geld knapp war, bekam sie über die KulturTafel Karten. Sie hat sie viel und gerne genutzt. „Be­sonders gut fand ich es, dass es immer zwei Karten gab und ich jemanden mitnehmen konnte“, sagt sie. Doch das geht nicht mehr: Heute kann sie das Haus nur noch mit Roll­stuhl verlassen, und wenn sie länger als eine Stunde sitzt, kommen Schmerzen.

Dabei war noch im Januar 2020 alles gut. Ihre Arbeit mit Demenzkranken machte ihr Spaß und sie freute sich darauf, ihr erstes Enkelkind auf­wachsen zu sehen, das gerade geboren war. Doch dann kam der Tag, an dem ihr Arzt das Wort aussprach, das alles ver­änderte: Knochenkrebs. Es begann ein Behandlungsma­rathon mit monatelangen Krankenhausaufenthalten, Schmerzen, Erschöpfung. Nach einigen Monaten wurde dazu noch ein Geschwür im Unterleib gefunden. Ab Mitte März schränkte zusätzlich Co­rona das öffentliche Leben stark ein, und ihre beiden Kin­der, die in anderen Bundes­ländern wohnen, konnten Koop lange nicht besuchen.

An diesem Sonnabend darf sie endlich wieder Kultur genießen. „Ich kann gar nicht glauben, dass Sie hier für mich Musik machen“, sagt sie gerührt. Sie hatte sich bei der KulturTafel für die Advents­-Aktion „Coming Horne For Christmas“ beworben. Acht Musikerinnen und Musiker des Philharmonischen Or­chesters machen in der Ad­ventszeit ehrenamtlich Haus­besuche bei Menschen, die nicht zu Konzerten geheri können oder nicht möchten, weil sie Angst haben, sich mit Corona zu infizieren. Einsam­keit und Kulturabstinez tun ihnen nicht gut. ,,Einige er­zählen mir, dass ihre Depres­sion sich wieder meldet, weil sie so viel zu Hause sind“, er­zählt die Geschäftsführerin der KulturTafel Kristine God­demeyer, die die Privatkon­zerte organisiert.

Dass das Format sehr gut ankommt, hat sie schon bei den Türschwellen-Konzer­ten im Winter festgestellt. Auch in Höfen und Gärten ha­ben die Musiker während der Corona-Pandemie regelmä­ßig für Kunden der KulfurTafel gespielt. Ihr Repertoire reicht von Stücken aus verschiede­nen Epochen bis zu Filmmu­sik, beispielsweise aus „Game of Thrones“ oder Interpreta­tionen moderner Musik bei­spielsweise von „Coldplay“.

„Gerade jetzt ist die seeli­sche und kulturelle Grundver­sorgung wichtig, damit die Leute emotional nicht vor die Hunde gehen“, sagt Godde­meyer. Kultur gehöre für viele Menschen zu einer Akutver­sorgung mit dazu, weil sie gut für die Seele ist. Für Angelika Koop stimmt das auf jeden Fall. (VON FRIEDERIKE GRABITZ)

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