Lübecker Nachrichten – 10.08.2025

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Dank der KulturTafel: „Geflasht“ von der Oper

Zwei Lübecker erzählen, wie sie Zugang zu Theater und Kunst gefunden haben

Tobias Liedtke und Jenny Braune freuen sich über das Angebot der KulturTafel.
Quelle: Agentur 54°

LÜBECK. Immer dieses Vonoben herab, dieses Getue mit edler Robe und Wein in der Hand. Das einem das Gefühl gibt, ganz klein zu sein. Weil man zu wenig Ahnung hat. Weil man zu wenig gebildet sein könnte. Und weil man fürchtet, intellektuell nicht mithalten zu können. ,,Das ist der Hauptgrund, warum ich vorher nie im Theater war“, sagt Tobias Liedtke (44) – und Geld hatte er auch keins übrig.

Zugang kostet Überwindung

Er sei oft an dem Laden der KulturTafel in der Lübecker Innenstadt vorbeigefahren und habe sich nicht hineingetraut. „Tafelangebote anzunehmen, ist ja erstmal komisch.“ Vor einigen Monaten habe er dann seinen Mut zusammengenommen und sich registrieren lassen. Seitdem ist Liedtke „Kulturgast“ und darf Veranstaltungen in der Stadt kostenlos besuchen. Theater. Festivals. Konzerte. ,,Ich hatte so eine Lust, das alles kennenzulernen.“
Veranstalter spenden Karten an die Kulturtafel Lübeck. Die sie Menschen mit geringem Einkommen gratis zur Verfügung stellt. ,,Kulturelle Veranstaltungen sind Anlässe, bei denen sich Menschen treffen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben“, steht auf der Webseite des Vereins. ,,Nicht dabei sein zu können, grenzt aus.“ Leiterin Kristine Goddemeyer berichtet von Vorbehalten und Vorurteilen, mit denen sie konfrontiert wurde, als sie die KulturTafel 2016 gründen wollte. Menschen ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund wüssten mit dem Gesehenen oder Gehörten „gar nichts anzufangen“ und könnten es auch nicht „verarbeiten“, habe sie sich anhören müssen. „Da habe ich gedacht: Jetzt erst recht.“ Es gehe nicht darum, Kultur auf Krampf in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Kultur sei ein weiter Begriff, den jeder für sich anders definiere. „Aber wer Interesse hat und sich Theater oder Konzerte nicht leisten kann, für den sind wir da.“

Keine Berührung mit Kultur

Tobias Liedtke ist glücklich in der Welt, die er seit einigen Monaten über die Tafel entdecken darf. Als Sohn eines Maurers und einer Hausfrau sei er in seiner Jugend auf dem Land kaum mit Kultur in Berührung gekommen, erzählt er – heute geht er in die Oper. Vor kurzem saß er im Theater Lübeck und hat sich die Oper „Tristan und Isolde“ angeschaut. Fünf Stunden lang. Ganz allein. „Ich war total geflasht.“ Goddemeyer will mit dem Projekt „Kulturdialog“ neue Wege gehen: Eine Gruppe der Kulturtafel-Gäste geht ins Gespräch mit Institutionen in der Stadt, um sich mit ihnen auszutauschen. Über Interessen und Wünsche. Über Schwellenängste und Kulturnutzung. „Auf Augenhöhe“, sagt Goddemeyer.

Keine Angst vor der Hochkultur

Ein Treffen mit dem Schauspieldirektor Malte C. Lachmann vom Theater Lübeck hat es schon gegeben. Lachmann sagt, er habe „wertvolle Informationen sammeln können, wie wir Theaterbesuche noch zugänglicher gestalten können“. Auch Jenny Braune (38) kennt, wie Tobias Liedtke, das Gefühl, nicht zur gesellschaftlichen Elite zu gehören. „Ich gehe da heute etwas lockerer ran“, sagt Braune. Weil ihre Mutter sie schon früh ins Theater geschleppt habe, sei sie ein wenig geübter als Liedtke. Sie habe zwar Inszenierungen gesehen, bei denen sie nicht mitgekommen sei. „Aber heute kann ich dazu stehen“ , sagt sie. Sie arbeitet in der Pflege und geht meistens mit ihrem Freund ins Theater. Dass ein Stück mal zu abstrakt sei oder ihr Hintergrundwissen fehle, weiß sie. ,,Dann denke ich Okay, krass, ich verstehe das nicht, aber ich finde es trotzdem faszinierend.“ Auch Liedtke hat weniger Angst als früher. Er fühle sich im Theater nicht mehr ganz so komisch, wenn er in Sneakern neben feinen Damen im Pelzmantel stehe, sagt er. „Ich hab mich innerlich stark gemacht.“ (VON SCHABNAM TAFAZOLI)

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