Lübeckische Blätter – 02.05.2020

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Die KulturTafel bietet Hausbesuche an

Fußmatten-Konzerte statt Live-Stream

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Das Wissen um die mächtige Bedeutung von Kunst und Kultur war es, das Pate gestanden hat, als am 2. Mai 2017 die KulturTafel Lübeck an den Start ging. „Das vielfältige Kulturangebot unserer Stadt für alle Menschen zu öffnen“, heißt das Ziel des eingetragenen Vereins, der seither Eintrittskarten zu kulturellen Veranstaltungen an Bedürftige vermittelt, die hier „Gäste“ genannt werden und die die Angebote begeistert annehmen. Vereins-Geschäftsführerin Kristine Goddemeyer zählt inzwischen mehr als 2.000 angemeldete Kultur-Gäste. Auch soziale Einrichtungen wie z.B. die Lübecker Aidshilfe, die Frauenhäuser Lübecks, die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen der Vorwerker Diakonie sind bei der Tafel dabei. „Wir haben bis dato knapp 13.000 Karten vermittelt“, sagt sie, „und wir zählen 126 Kulturpartner, die uns regelmäßig, mehrmals oder einmalig Karten gespendet haben.“

Nun, zum dritten Vereinsgeburtstag macht die Coronakrise Konzerten, Theateraufführungen, Lesungen einen Strich durch die Rechnung – jedenfalls, wenn die Veranstaltungen in Sälen stattfinden. Dass man, soweit es geht, in digitale Projekte ausweicht, ist auch für Kristine Goddemeyer eine gute Sache. Mit dem Wolfgang-Herrndorf-Roman „Tschick“, den der Schauspieler Rainer Rudloff neun Tage im April täglich im Live-Stream exklusiv vorlas, machte die KulturTafel selbst einen ersten Schritt in die digitale Ausweichwelt. Aber, so hat sich Kristine Goddemeyer gefragt, „was ist mit den vor allem älteren Menschen, die diese Angebote nicht erreichen?“

Also hat sich das Team etwas einfallen lassen, was die Geschäftsführerin „Türschwellen-“ oder „Fußmatten-Konzerte“ nennt: „Wir bieten ‚kulturelle Hausbesuche‘ an, für die bei uns angemeldete Gäste zu Hause von einer Musikerin oder einem Musiker besucht werden. Die Fußmatte wird so zur Bühne. Der Gast bleibt dabei in seiner Wohnung − der Mindestabstand wird also gewahrt − und erlebt ein zirka zehnminütiges Konzert im Hausflur, ein Türschwellenkonzert exklusiv für ihn!“ Auf Wunsch ist ein Klappstuhl für den
Gast inklusive. Den Anfang machte die Saxofonistin Henrike Jonak. Auch ein Gitarrist, eine Fagottistin, eine Klarinettistin zeigten sich sogleich bereit für ehrenamtliche Auftritte.
„Abgesehen von dem kulturellen Genuss ist dies ein ganz wichtiges Zeichen für die ,digital Abgeschnittenen‘ in unserer Bevölkerung: Auch sie werden in dieser Zeit wahrgenommen und nicht vergessen. Wir bieten also Futter für die Seele gleich in mehrerer Hinsicht und brechen so die momentane Isolation dieser Menschen ein wenig auf“, sagt Kristine Goddemeyer.

Wie existentiell dieses Kultur-Futter grundsätzlich und besonders in der Krise empfunden wird, bestätigen die Reaktionen der Tafel-Gäste. „Natürlich hatte ich totales Verständnis, als ihr anrieft, um mir zu sagen, dass das Konzert im CVJM ausfällt“, schreibt eine 41 Jahre alte Hartz-IV-Empfängerin, „ich war trotzdem enttäuscht. Ich sag das jetzt mal so: Ihr habt mich auf die Droge Kultur gesetzt und ein ,kalter Entzug‘ fühlt sich einfach nicht gut an! Dafür zehre ich jetzt von meinem kulturellen Erinnerungsschatz, der dank euch gut gefüllt ist. Zum Beispiel ist das Zaubertheater total klasse! Richtig toll war neulich auch ,Caveman‘ im Kolosseum. Ich hatte am nächsten Tag Muskelkater im Bauch vor lauter Lachen. An dieses Gefühl versuche ich mich jetzt während der Corona-Krise immer wieder zu erinnern.“ Und eine alleinerziehenden Mutter und Hartz-IV-Empfängerin berichtet von Besuchen im Figurentheater und im Zirkus: „Das war richtig toll. Da denken wir jetzt viel dran. Und ein absolutes Highlight war natürlich der Circus Roncalli, zu dem Sie uns eingeladen haben. Mein Sohn konnte endlich mal mitreden! Können Sie sich vorstellen, was das meinem Sohn bedeutet hat? Das ist in Worten kaum zu beschreiben.“

Kultur für alle – die große Idee braucht nur ein kleines Procedere: Interessierte melden sich unter Vorlage eines Einkommensnachweises und unter Angabe ihrer kulturellen Vorlieben bei der Tafel an. Letztere werden mit Angeboten der teilnehmenden Kultureinrichtungen, die nicht verkaufte Tickets zur Verfügung stellen, abgeglichen und im besten Fall erfolgt die telefonische Mitteilung, dass sowohl ein Ticket für den angemeldeten Gast als auch für eine Begleitung an der Abendkasse bereitliegt. Wie sehr man Kultur vermissen kann, erleben derzeit alle. „Ich freue ich mich schon jetzt wieder auf schöne Erlebnisse, die ich durch Sie haben darf“, schreibt ein Gast der Tafel. (von Karin Lubowski)

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