Lübecker Nachrichten – 21.03.2020

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Das ist höhere Gewalt

// Auch die Gäste der Lübecker Kulturtafel müssen jetzt auf Konzert oder Theater verzichten – sehr schweren Herzens.

Lübeck. Die Kulturtafel vermittelt kostenlose Karten für Konzerte, Theater oder andere kulturelle Veranstaltungen an Menschen mit wenig Geld. Eigentlich. Jetzt hat das Coronavirus natürlich auch ihre Arbeit stillgelegt. Was das und die Teilhabe an Kultur überhaupt für die Tafelgäste bedeutet, machen folgende Äußerungen deutlich:

„Natürlich hatte ich totales Verständnis, als ihr anrieft, um mir zu sagen, dass das Konzert im CVJM ausfällt. Ich war trotzdem enttäuscht. Ich sag das jetzt mal so: Ihr habt mich auf die Droge Kultur gesetzt, und ein ,kalter Entzug‘ fühlt sich einfach nicht gut an. Dafür zehre ich jetzt von meinem kulturellen Erinnerungsschatz, der dank euch gut gefüllt ist. Zum Beispiel ist das Zaubertheater total klasse! Richtig toll war neulich auch ,Caveman‘ im Kolosseum. Ich hatte am nächsten Tag Muskelkater im Bauch vor lauter Lachen. An dieses Gefühl versuche ich mich jetzt während der Corona-Krise immer wieder zu erinnern.“ (Nadine, Hartz-IV-Empfängerin, 41)

„Ich beziehe Grundsicherung und war kulturell einfach abgehängt. Richtig kalt gestellt habe ich mich in dieser Hinsicht gefühlt, denn ich bin kulturell sehr interessiert. Das letzte Konzert in der Aegidienkirche war wunderschön. Es wurden ausschließlich Werke von Bach gespielt. Hervorragend! Das fehlt mir jetzt natürlich sehr, aber es geht ja nun schließlich im Moment allen so. Da müssen wir jetzt einfach durch! Ich freue mich aber schon, wenn Sie sich hoffentlich bald wieder bei mir melden. Ihre Einrichtung ist einfach toll. Als ich von Ihnen zum ersten Mal gehört habe, habe ich gedacht: ‚Wie geil ist das denn!`“ (Bert, bezieht als Frührentner Grundsicherung, 57 Jahre)

„Ohne die Kulturtafel käme ich nicht in den Genuss von Kultur. Ihre Einrichtung ist etwas Wunderbares und tut mir sehr gut. Natürlich ist es schade, dass zurzeit nichts angeboten werden kann, aber oberste Priorität hat die Gesundheit – für mich und natürlich für uns alle. Ich erinnere mich deshalb an mein schönstes vergangenes Erlebnis: das Stück ‚Ich Romeo, Du Julia‘ im Theater Combinale. Das war so toll! Ich durfte noch jemanden mitnehmen, und wir haben unheimlich viel gelacht und richtig Spaß gehabt. Nach der Zwangspause durch Corona freue ich mich schon jetzt wieder auf schöne Erlebnisse, die ich durch Sie haben darf.“ (Sabine, bezieht als Aufstockerin Leistungen vom Jobcenter, 51 Jahre)

„Früher hatten wir kein Geld. Jetzt können wir mit der Kulturtafel hin. Aber warum gehen wir jetzt doch nicht zum Kindertheaterfestival? Das hat mich mein Sohn gefragt, als die Absage wegen Corona kam. Wir durften aber dank Ihnen schon zwei Mal zum Figurentheater ins Europäische Hansemuseuın. Das war richtig toll. Da denken wir jetzt viel dran. Und ein absolutes Highlight war natürlich im vergangenen Sommer der Circus Roncalli hier in Lübeck, zu dem Sie uns eingeladen haben. Mein Sohn konnte endlich mal mitreden! Können Sie sich vorstellen, was das meinem Sohn bedeutet hat2 Das ist in Worten kaum zu beschreiben. ” (Anja, alleinerziehende Mutter und Hartz-1 V-Empfängerin, 34 Jahre)

„Im Moment ist es einfach langweilig und trist. Die Kulturtafel holt die Menschen wirklich aus der Isolation heraus. Für mich ist so wichtig, dass ich durch euch endlich wieder das Gefühl habe, dazuzugehören. Das gibt mir unheimlich viel Kraft und auch Mut, den ich in meinem Alltag brauche. Ihr könnt ja nichts dafür, dass jetzt nichts stattfindet, das ist einfach höhere Gewalt! Ich denke jetzt noch total oft an den letzten schönen Abend zurück: ein Sinfoniekonzert. Dass mir Klassik gefällt, hätte ich nie gedacht. Aber ich habe es durch euch ausprobiert und siehe da: Das fetzt!“ (Klaus, bezieht als Rentner Grundsicherung, 68 Jahre)

„Ich brauche jetzt Geduld, aber die braucht ja momentan jeder in dieser Situation. Ich freue mich aber jetzt schon unheimlich auf Ihren nächsten Anruf. Sie haben mir schon so viele Herzenswünsche erfüllt. Mein Highlight war die Comedy-Veranstaltung ‚Sekt and the City‘ im Kolosseum. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie mir so was ermöglichen! Es ist in der Vergangenheit einfach nicht drin gewesen. Besonders toll finde ich, dass man persönlich angerufen wird. Das ist für mich einfach eine persönliche Einladung, anı Kulturprogramm teilzuhaben. Ich zehre immer noch lange davon und so ein Abend hilft mir ungemein, mit meiner dauerhaften Erkrankung klarzukommen.“ – (Angelika, bezieht als Frührentnerin Grundsicherung, 57 Jahre)

Drei Jahre Kulturtafel

Die Lübecker Kulturtafel ist jetzt fast drei Jahre alt. lm Februar 2017 wurde der Verein gegründet, im Mal die Tafel offiziell eröffnet. Inzwischen sind mehr als 2.000 Gäste in der Kartei, die von kostenlosen Tickets profitieren. Die Karten werden von 126 Partnern zur Verfügung gestellt, etwa 13.000 Tickets konnten schon vermittelt werden. Geschäftsführerin der Tafel ist Kristine Goddemeyer, unterstützt wird sie von sieben Ehrenamtlichen.

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